Bei den weltweit innovativsten Lieferketten denken Sie wahrscheinlich an Amazon und Apple. Oder an Unternehmen wie McDonalds oder Walmart, vielleicht auch an Johnson & Johnson. Ein Chemieunternehmen wird Ihnen in diesem Zusammenhang wohl nicht einfallen. Woran liegt das?
Die Chemiebranche ist nicht gerade bekannt für revolutionäre Ideen, zumindest nicht, wenn es um die Konzeption von Lieferketten geht. Dies spiegelt sich auch in der Gartner-Rangliste 2018 mit den Top 25 im Bereich Supply Chain wider. Darin ist lediglich ein Chemieunternehmen vertreten. Einige werden wohl anführen, dass die zur Erfolgsbewertung herangezogenen Kriterien nicht die besonderen Herausforderungen dieses Wirtschaftszweigs berücksichtigen, aber die These, dass die Branche nicht vorausdenkt, wird auf jeden Fall bestätigt.
Innovationshürden
Chemikalien sind allgegenwärtig. Die Orange, die Sie womöglich gerade gegessen haben, wurde wahrscheinlich mit Chemikalien behandelt, um Insekten und Pilzbefall abzuwehren. Angeliefert wurde sie wahrscheinlich in einem durch Chemikalien gekühlten Lkw. Zwar können Kunden durch den Einsatz von Chemikalien von den neuesten Supply-Chain-Innovationen profitieren, aber die Chemikalien selbst unterliegen dabei bestimmten Vorschriften. Ich hatte schon einmal darauf verwiesen, dass es für die Chemiebranche eine Reihe besonderer Beschränkungen gibt. Wie Steve Banker gegenüber Forbes bemerkt hat, können Verbesserungen aus anderen Branchen aufgrund der Komplexität chemischer Produktionsverfahren nicht einfach übernommen werden.
Viele Unternehmen, die für Ihre Supply Chain Excellence bekannt sind, vertrauen beim Herstellen von Waren auf die diskrete Fertigung. Anhand einer Stückliste geben sie die Teile vor, aus denen ein bestimmtes Produkt zu einzelnen Einheiten zusammengesetzt wird. Telefone, Autos und Möbel sind typische Beispiele hierfür.
Andererseits wird bei der von Chemieunternehmen eingesetzten Prozessfertigung chargenweise auf Basis von Formulierungen und Herstellungsrezepturen produziert. Typische Produkte sind hier Öl, Gas oder Salz. Wegen der Komplexität dieses Ansatzes besteht daher deutlich weniger Flexibilität bei der Ausgestaltung von Lieferketten. Nimmt man dann noch eine Reihe notwendiger, aber strenger Vorschriften hinzu, lässt sich besser nachvollziehen, dass diese Branche bei der Entwicklung neuer Herangehensweisen eingeschränkt ist.Dies bedeutet aber nicht, dass es keinen Raum für Kreativität gibt.
Innovation ist möglich
Aber welches Unternehmen war nun eigentlich der einzige Branchenvertreter im Gartner-Ranking? Das war BASF SE, der deutsche Chemieriese mit einem Umsatz von über 60 Mrd. Euro im Jahr 2017 – und damit alles andere als ein kleiner Fisch. Der Konzern muss sich daher durchaus mit veralteten Systemen und Denkweisen auseinandersetzen und hat es dennoch geschafft, verschiedene Innovationsansätze für die Logistik zu identifizieren.
Das Unternehmen operiert nach dem Verbundprinzip, setzt also auf einen ganzheitlichen Supply-Chain-Ansatz. Sofern möglich, sorgen alle Produktionsanlagen und Infrastruktureinrichtungen untereinander für einen Mehrwert. Die jeweiligen Nebenerzeugnisse werden zur Leistungserbringung einer anderen Anlage oder Einrichtung verwendet, und der logistische Rahmen dient verschiedenen Zwecken. Zusätzlich zu den Kosten kann BASF dank dieser Initiativen jedes Jahr 6 Mio. Tonnen Treibhausgasemissionen und 280.000 Lkw-Ladungen einsparen. Das Unternehmen ist zudem, was die neuesten technischen Entwicklungen angeht, immer auf dem Laufenden.
Seit Kurzem arbeitet BASF mit den Start-ups Quantoz und Ahrma an der Lösung eines alten Problems: Wie lässt sich der Verantwortliche ermitteln, wenn ein Produkt vor der Auslieferung beschädigt wird? Diese Unternehmen kombinieren intelligente Paletten, auf denen Daten zu Schlägen, Stößen und Bewegungen gespeichert werden können, mit Blockchain-Technologie. Mit dem so entstehenden System soll die Unversehrtheit von Produkten transparent und zuverlässig überwacht werden können.
Fundiertes Branchenwissen und neue Denkansätze
Ist es zu einfach gedacht, dass sich die Lieferkette der chemischen Industrie so wie die der weltweit agilsten Unternehmen weiterentwickeln soll? Oder sollten Chemieunternehmen mehr unternehmen, um neue Technologie und Denkansätze zu nutzen? BASF zeigt, dass die Wahrheit (also Antwort) hier wie so oft in der Mitte liegt.
Die Chemiebranche hat ganz eigene Herausforderungen. Durch die Art und Weise ihrer Produktion, die Transportanforderungen und die Vielzahl der einzuhaltenden Vorschriften ist sie nicht so flexibel wie andere Branchen. Allerdings haben Unternehmen wie BASF und andere nachgewiesen, dass genügend Raum für Innovationen vorhanden ist, wenn fundiertes Branchenwissen mit unkonventionellen Denkansätzen verbunden wird.